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"Das Widerstehn, der Eigensinn, verkümmern herrlichsten Gewinn"

Wie Donald Trump in Schottland den Faust aufführt

Es ist eher unwahrscheinlich, dass der umstrittene amerikanische Unternehmer und Präsident Donald Trump

sich intensiv mit dem literarischen Werk Goethes auseinandersetzt. Und doch gibt es Indizien dafür, dass er

seit zehn Jahren an einer Inszenierung des Faust arbeitet. Vor malerischer Kulisse.                                

 

 

Am Ende des Zweiten Teils seines Faustdramas lässt Goethe die Titelfigur noch einmal in einer neuen Rolle auftreten: er macht Faust zum literarischen Prototypen eines modernen Tycoons: Reichtum aus Kriegsgeschäften, global tätiger Unternehmer mit eigener Handelsflotte, bestens vernetzt mit der politischen Führung, Aktivitäten in verschiedenen Geschäftsfeldern mit Renditen in astronomischer Höhe, wenn auch nicht immer ganz astrein: Krieg, Handel und Piraterie/dreieinig sind sie, nicht zu trennen. Wie sollte es anders sein mit Mephisto als Geschäftsführer, der, wenn es hakt, Drei gewaltige Gesellen schickt.

 

Faust ist zu Beginn des Fünften Akts mit der Fertigstellung eines Großprojekts beschäftigt: auf einem Küstenstreifen sollen zahlreiche Immobilien errichtet werden. Das Gebiet ist größtenteils bereits entwässert und ein neuer Hafen geschaffen worden. Waren aus aller Welt kommen hier an. Wo zuvor das Meer, schäumend wild, die Dünen umspült hat, zeigt sich nun ein paradiesisch Bild blühender Gärten, Wies´ an Wiese, Anger, Garten, Dorf und Wald.

 

Der letzte Bauabschnitt ist abgesteckt worden, das Projekt soll zügig zu Ende geführt werden, doch an einer Stelle regt sich Widerstand: ein Ehepaar weigert sich, sein Haus zu verlassen und das Grundstück herzugeben. Die beiden alten Leute leben dort in ihrer Hütte mit einer kleinen Kapelle, umgeben von einem Lindenhain, von Goethe als Altersidylle gezeichnet. Ihr Verhältnis zueinander ist wie das zur Natur: organisch gewachsen, geprägt von Liebe und Ehrfurcht, ein Symbol für Tradition und Harmonie. Goethe gibt ihnen die Namen Philemon und Baucis, eine Anspielung auf das gleichnamige Paar aus Ovids Metamorphosen, das für seine Gastfreundschaft von den Göttern damit belohnt wurde, immer beieinander bleiben zu dürfen, und zu diesem Zweck in Bäume verwandelt wurde.

 

Doch bei Goethe sind Philemon und Baucis nicht immer einer Meinung: er ist altersbedingt ein wenig kraftlos, gutgläubig und vertraut in die politische Autorität des Kaisers: Kluger Herren kühne Knechte/Gruben Gräben, dämmten ein,/Schmälerten des Meeres Rechte,/Herrn an seiner Statt zu sein. Seine Frau hingegen ist klug und skeptisch und hat, was das Immobilienprojekt betrifft, so ihre Zweifel: Denn es ging das ganze Wesen/Nicht mit rechten Dingen zu. Und auch der Tycoon ist Baucis nicht geheuer. Gottlos ist er, ihn gelüstet/Unsre Hütte, unser Hain;/Wie er sich als Nachbar brüstet,/Soll man untertänig sein.

Philemon wäre auf dessen Angebot, Haus und Grundstück gegen ein schönes Gut im neuen Land zu tauschen – mit vielen Vorteilen wird man annehmen dürfen – vermutlich sogar eingegangen, aber seine Frau ruft ihn zur Räson: Traue nicht dem Wasserboden,/Halt auf deiner Höhe stand!

 

So kommt es denn auch. Das Ehepaar beharrt auf seinem Eigentumsrecht und lehnt das Angebot ab. Faust schäumt vor Wut: Vor Augen ist mein Reich unendlich,/Im Rücken neckt mich der Verdruß;/Erinnert mich durch neidische Laute:/Mein Hochbesitz, er ist nicht rein,/Der Lindenraum, die braune Baute;/Das morsche Kirchlein ist nicht mein. Und auch der zuständige Mitarbeiter Mephisto muss sich einiges anhören: Die Alten droben sollten weichen;/Die Linden wünscht´ ich mir zum Sitz,/Die wenig Bäume, nicht mein eigen,/Verderben mir den Weltbesitz./Dort wollt´ ich, weit umherzuschauen,/Von Ast zu Ast Gerüste bauen,/Dem Blick eröffnen weite Bahn;/Zu sehn, was alles ich getan,/Zu überschaun mit einem Blick/Des Menschengeistes Meisterstück,/Betätigend

mit klugem Sinn/Der Völker breiten Wohngewinn.

 

Faust präsentiert sich als ein von Anmaßung und Stolz erfüllter Weltgestalter, der von der Richtigkeit seines Tuns zutiefst überzeugt ist und Widerspruch als Majestätsbeleidigung empfindet. Daß sich das größte Werk vollende,/Genügt  ein Geist für tausend Hände. Der Widerstand der beiden Alten, denen ihre kleine Scholle wichtiger ist als das volkswirtschaftlich gigantische Bauprojekt, lässt Faust verzweifeln. Das Widerstehn, der Eigensinn/Verkümmern herrlichsten Gewinn,/Daß man, zu tiefer, grimmiger Pein,/Ermüden muß, gerecht zu sein.

 

Und so wird der Auftrag an den Geschäftsführer energisch erneuert: So geht und schafft sie mir zu Seite!  ̶   Mephisto delegiert die Sache an die Drei gewaltigen Gesellen, mit dem zu erwartenden Ausgang: Sie hörten nicht, sie wollten nicht;/Wir aber haben nicht gesäumt,/Behende dir sie weggeräumt./Das Paar hat sich nicht viel gequält,/Vor Schrecken fielen sie entseelt. Haus, Kapelle und Lindenhain werden kurzerhand abgefackelt, dem Berichterstatter, der das Geschehen für das Publikum schildert, bleibt nur noch der traurige Kommentar: Was sich sonst dem Blick empfohlen,/Mit Jahrhunderten ist hin.

 

Selbstverständlich distanziert sich der Tycoon sofort von den Machenschaften seiner Mitarbeiter: Tausch wollt´ ich, wollte keinen Raub./Dem unbesonnenen wilden Streich,/Ihm fluch´ ich; teilt es unter euch!

 

Aber Goethe lässt ihn nicht davon kommen, gibt Fausts Projektwahn am Ende der Lächerlichkeit preis. Mit allen irdischen und einigen überirdischen Mitteln ausgestattet, glaubt Faust sich gegen jedes Ungemach gefeit, nichts kann ihn schrecken. Doch als sich sein Großprojekt der Vollendung nähert, gewinnt etwas Macht über ihn, mit dem er nicht gerechnet hat und das er nicht abschütteln kann: die Sorge. Er wehrt sich, will sie von sich weisen, versucht, sie zu ignorieren, doch sie lässt ihn am Ende erblinden.

 

Fausts Eifer tut das keinen Abbruch. Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen,/ Allein im Innern leuchtet helles Licht;/Was ich gedacht, ich eil´ es zu vollbringen. Fortan auf akustische Wahrnehmung reduziert und dem Tode nah, missdeutet er jedes Geräusch als Fortschrittsklang: Wie das Geklirr der Spaten mich ergetzt!/Es ist die Menge, die mir frönet. Auch scheint sein Gewissen vom Tod der Alten nicht belastet, denn schon ergeht der nächste zwielichtige Auftrag an Mephisto: Wie es auch möglich sei,/Arbeiter schaffe Meng´ auf Menge,/Ermuntere durch Genuß und Strenge,/Bezahle, locke, presse bei!

 

Und selbstverständlich lässt er sich informieren, ob die Umsetzung der Planung entspricht: Mit jedem Tage will ich Nachricht haben,/ Wie sich verlängt der unternommene Graben.

 

Mephisto macht sich dann nicht einmal mehr die Mühe zu flüstern, sondern sagt halblaut: Man spricht, wie man mir Nachricht gab,/Von keinem Graben, doch vom Grab.

 

Der Tycoon stirbt aber nicht, ohne seine große Vision vom Leben hinter dem Deich noch einmal zusammengefasst zu haben: Eröffn´  ich Räume vielen Millionen,/ Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen./ Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Herde/ Sogleich behaglich auf der neuesten Erde,/ Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,/ Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft./ Im Innern hier ein paradiesisch Land,/ Da rase draußen Flut bis auf zum Rand,/ Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen,/ Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen. […]

Solch ein Gewimmel möcht´ ich sehn,/ Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.

 

Wie die Geschichte an der Küste weitergeht, lässt Goethe offen. Und Faust kommt am Ende in den Himmel.

 

 

 

Wer in den USA Präsidentschaftskandidat werden möchte, muss zuvor sein Vermögen offenlegen. Donald Trump hat seines mit zehn Milliarden Dollar angegeben, und selbst wenn das Forbes Magazine das für eine Übertreibung hält und von "nur" gut vier Milliarden ausgeht, ist das unvorstellbar viel. Trump, der Inbegriff eines Tycoons, führt einen multinationalen Konzern mit über 20.000 Mitarbeitern. Den größten Umsatz erzielt er mit Luxusimmobilien, für deren Bau gelegentlich auch Leute mit Namen wie Anthony "Fat Tony" Salerno oder Paul "Big Paul" Castellano hilfreich gewesen sein sollen.

 

 

Seit etwa zehn Jahren ist Trump in Schottland, dem Geburtsland seiner Mutter, mit einem Großprojekt beschäftigt: in der Nähe von Aberdeen, unmittelbar an der Nordseeküste  will er eine Anlage mit zwei Golfplätzen, einem Luxushotel und mehreren hundert Häusern errichten. Der erste Platz wurde 2012 eröffnet, und Kenner schwärmen vom Meerblick und den Spielbahnen, die traumhaft schön um die Dünen mäandern.

 

 

Allerdings ist damit nur ein Bruchteil der Planung realisiert, und das liegt daran, dass es seit Beginn des Vorhabens Widerstand gibt. Die urwüchsige Dünenlandschaft ist ein empfindlicher dynamischer Naturraum, den Trump für sein Projekt fixieren und in eine Kunstlandschaft verwandeln muss. Die lokalen Behörden lehnen das Vorhaben daher zunächst ab, doch der Tycoon lässt bei der schottischen Regierung die Muskeln spielen und darf schließlich bauen. Ein größeres Problem als die Politik sind für ihn die Anlieger, allen voran der Fischer und Landwirt Michael Forbes und sein Nachbar David Milne. Forbes lebt seit über vierzig Jahren hinter den Dünen, und er weigert sich hartnäckig, sein Haus aufzugeben und sein Land zu verkaufen. "No Golf Course" steht in großen Buchstaben an seiner Scheune.

 

Als Trump 2006 mit dem Projekt beginnt, gibt es zunächst noch Zuspruch: ortsansässige Unternehmer bejubeln den vom Tycoon angekündigten Wachstumsimpuls, der damalige First Minister Lord McConnell erklärt ihn zu einem Botschafter der schottischen Wirtschaft, eine Hochschule in Aberdeen verleiht ihm die Ehrendoktorwürde. Den Fischer Michael Forbes überzeugt das alles nicht. Auch nicht die Offerten Trumps, die ihn nach und nach erreichen. Die Summen, die ihm für den Verkauf seines Grundstücks in Aussicht gestellt werden, übersteigen den ortsüblichen Wert bei weitem. Das Geld lehnt er ebenso ab wie eine Anstellung im Golfressort mit einem – vermutlich leicht verdienten – Jahresgehalt von 50.000 Pfund. Je höher die Angebote des Tycoons werden, desto größer wird der Widerstand, den Forbes und eine wachsende Schar von Mitstreitern ihm entgegen setzen.

 

 Forbes verkauft nicht. Und einige andere auch nicht. Sie wollen ihren natürlichen Lebensraum vor den Plänen des unbeliebten Nachbarn schützen. Trump schäumt vor Wut und beschimpft Forbes als dreckig, schlampig und ungepflegt. Und über dessen Hof sagt er, er sei in einem schrecklichen Zustand, er gleicht einem Slum, es ist ekelerregend, überall liegt Kram herum. Er lebt wie ein Schwein. Der Tycoon sieht sich als Opfer einiger Aktivisten, die den Nutzen eines, aus seiner Sicht volkswirtschaftlich genialen und ökologisch perfekten Investments verkennen. Wenn wir für dreihundert oder vierhundert Millionen Dollar ein Hotel bauen, will niemand Fenster, die zu einem Slum hinausgehen. Für Trump ein unerträglicher Zustand: Ich will die Häuser nicht sehen. Und niemand hat ein Problem damit, außer vielleicht die Menschen, die in den Häusern leben. Doch die sind ihm egal.

 

Trump präsentiert sich als ein von Anmaßung und Stolz erfüllter Weltgestalter, der von der Richtigkeit seines Tuns zutiefst überzeugt ist und Widerspruch als Majestätsbeleidigung empfindet. Ich baue, für das schottische Volk, den großartigsten Golfplatz der Welt. Und das schottische Volk glaubt er hinter sich. Angesprochen auf den Widerstand gegen sein Großprojekt, entgegnet er: Eine Zeitung hat getitelt 'Trump trifft auf Demonstranten'. Zwei Leute und ein Hund. Ich hatte nur vor dem Hund Angst. Doch es ist ihm anzusehen, wie zornig ihn diese Leute machen.

 

Und dem rauen Ton lässt der Tycoon nun Taten folgen.  Einer Mitarbeiterin ruft er vor laufender Kamera zu: Sarah, ich will diese Häuser loswerden! Und auf den Einwand, dies sei ohne Tumult nicht zu machen, entgegnet er: Wen kümmert es. Trump schickt Anwälte, die mit Enteignung drohen und uralte Grenzverläufe anfechten, Bauarbeiter, die Zufahrten blockieren, Wasser- und Stromleitungen kappen, Zäune niederreißen und um die Häuser enorme Erdhügel aufschütten und den Meerblick verbauen. Die Anwohner müssen mit ansehen, wie sich die Dünenlandschaft vor ihrer Haustür in eine riesige Baustelle verwandelt.

 

Von einer Schädigung der Umwelt will Trump nichts wissen, im Gegenteil, er sieht sich als Bewahrer: Also, ich fixiere die Dünen und das bedeutet, die Dünen werden für immer da sein, und das ist gut.

 

Wie abgehoben der Tycoon in seinem Projektwahn ist, zeigt sich, wenn er, auf die ihn umgebende Küstenlandschaft deutend ausruft: Es ist schön. Aber ich werde es noch schöner machen. Die Häuser und Grundstücke von Forbes und seiner Nachbarn brauche er dafür gar nicht, prahlt er in der Talkshow von David Letterman. Er hat einen größeren Gegner ausgemacht: die schottische Regierung. Die hat die Genehmigung für einen Offshore-Windpark erteilt, in Sichtweite von Trumps Großprojekt. Das bringt den Bauherrn zum Kochen.

 

Mit allen juristischen und publizistischen Mitteln versucht Trump, den Windpark zu verhindern. Was ich sehen will, ist das Meer. Was ich nicht sehen will, sind Windräder, klagt er. Der Supreme Court in London bestätigt am Ende die Entscheidung der schottischen Regierung, und Trump wütet: Diejenigen, die hier gegen uns waren, werden sich vor der Geschichte verantworten müssen, und dieser Ausgang zeigt die dumme, kleingeistige und provinzielle Haltung, mit der die gegenwärtige schottische Regierung auf gefährliche Weise mit der Windenergie herumexperimentiert. Er werde den Kampf fortsetzen.

 

Selbst der Präsidentschaftswahlkampf hält Trump nicht davon ab, im Juni für drei Tage Schottland zu besuchen und sich vor Ort ein Bild zu machen.

 

 

Doch die Schotten wollen ihn nicht mehr. Nach Ausfällen gegen Migranten und Muslime wird ihm der Titel des Wirtschaftsbotschafters ebenso aberkannt wie die Ehrendoktorwürde.

 

An seinem Großprojekt hält er unerschütterlich fest, und über die fertiggestellten Bauabschnitte stellt er selbst fest: Ich habe etwas geschaffen, das ist umwerfend. Und die Mehrheit sehe das auch so: Die Menschen lieben das, was wir tun, sie lieben die Tatsache, dass ich hunderte von Millionen Pfund investiere, sie lieben die Tatsache, dass ich eine Menge Arbeitsplätze schaffe. Das britische Parlament hat unterdessen über eine von mehr als einer halben Million Menschen unterzeichnete Petition debattiert, Trump die Einreise nach Großbritannien zukünftig zu verweigern.

 

 

 

Wie die Geschichte an der Küste weitergeht, ist offen. Und Trump wird am Ende vielleicht Präsident der USA.